Die Zeichenmaschine - Warten auf Aufträge- © Karl Heinz Jeron

Die Zeichenmaschine Foto: V. Djordjevic

Karl Heinz Jeron

Datenverarbeitung mal anders

Auf dem Richardplatz schien die Sonne. Das versprach gute Geschäfte. Mein kleiner Auftragskunstzeichenroboter war schnell in Bereitschaft gebracht. Das Publikum konnte kommen.

Und dann die ersten Neugierigen: "Was macht der? Ist der kaputt, oder warum bewegt er sich nicht?" Die kleine Maschine arbeitet für 7.50 € pro Stunde, aber nur wenn sie beauftragt wird. Sie verarbeitet beliebige digitale Daten Byte für Byte - ohne Rücksicht auf das Dateiformat - in eine abstrakte Zeichnung. Aber eben nur nach Auftragserteilung, also wenn jemand eine Datei per E-Mail schickt, auf einem USB-Stick mitbringt, oder ganz einfach Daten aus dem Internet verarbeiten lässt. Dank meines Smartphones hatte ich vor Ort Zugriff auf das Internet und war somit vorbereitet, Webseiten oder einzelne Artikel herunterzuladen und an den Roboter zu verfüttern.

Während der 48 Stunden Neukölln bekam ich 21 Aufträge. Ein negativer ALG II-Bescheid wurde gescannt und auf einem USB-Stick mitgebracht. Das Gedicht "Was gesagt werden muss" von Günter Grass wurde aus dem Internet heruntergeladen und gleich zweimal zur Verarbeitung beauftragt. Neben vielen Fotos wurde auch das Vater Unser und ein Ausschnitt aus Karl Marx' Kapital in eine feinstrichige Zeichnung verwandelt.

Die freundliche Dame mit dem Alg II-Bescheid kommentierte das Ergebnis wie folgt:
"ALG II, zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben. Bedarfsgemeinschaftsnummer. Drangsalierung. Drohung, Ermessensspielraum. Grundpflicht. Rechtsfolgenbelehrung, Rechtsbehelfsbelehrung. Verletzung der Meldepflicht und Meldeaufforderung, Sanktionszeiträume. Würdeverlust. Alle paar Wochen wieder durch den Briefschlitz in meine Wohnung geflattert. Und: 1-Euro-Job. Aber: Mindestlohn! Menschenwürde! Den zahle ich, und das Konglomerat aus furchteinflößendem und existenzbedrohendem Behördendeutsch verwandelt sich in ein Kunstwerk. Nicht länger ein Schrecken, sondern schrecklich schön. Danke!"

Konzept

Wer kennt es nicht: Nach einem langen Arbeitstag am Computer fragt man sich oft, was man eigentlich geschafft hat.

Eine kleine Zeichenmaschine gibt die Antwort. Beliebige digitale Dokumente werden von ihr Byte für Byte in eine abstrakte Zeichnung umgesetzt.

Die Maschine arbeitet zum Mindestlohn von 7,50 €. Für eine 1 Megabyte große Datei braucht die Maschine circa eine Stunde.

Besucher der 48 Stunden Neukölln können ihre Daten durch die Zeichenmaschine verarbeiten lassen. Alle können mitmachen, sie müssen nur im Vorfeld die gewünschte Datei zusenden oder vor Ort auf dem Richardplatz einen USB-Stick vorbeibringen oder die Adresse einer Internetseite angeben. Der Inhalt spielt keine Rolle, nur das digitale Muster des Dateiformats wird verwendet, um die Maschine in Bewegung zu setzen.

9-5.jeron.org


letzte Aktualisierung: 08.06.2012

© Bronx vs. Brooklyn 2012